Von Anne-Kathrin Velten
Wie nennt man jemanden, der älter als 55 Jahre, aber noch nicht alt ist? Diesem Lebensabschnitt zwischen Arbeit und der ersten Pflegestufe fehlt ein Name – vor allem ein positiver Name. Zwar mag das Branding einer Alterskategorie bisweilen junge Menschen nerven, fühlen sie sich von Begriffen wie Generation Z, Generation Y oder Millennials missverstanden, doch bei älteren Menschen sind derartige Kategorien Gold wert, um eine echte Identifizierung zu erreichen und Produkte zu vermarkten.
Wer sind die neuen Alten?
Auf den ersten Blick scheinen sie wie ihre Vorgänger: Bis dahin meist sparsam und auf die eigene und familiäre Absicherung fokussiert, wollen sie ab Mitte Fünfzig die Früchte ihrer jahrzehntelangen Arbeit ernten. Sie haben einen festen Job, oft ein Eigenheim, die sozialen Verhältnisse sind geregelt. Diese Sicherheiten stimmen glücklich und erhöhen die Kaufkraft. Die Gruppe interessiert sich für werthaltige Produktkategorien, sie kauft selten blindlings das Nächstbeste. Zudem ist sie treu, schaut beim Einkaufen meist mehr auf die Marke als auf den Preis. Das gilt umso mehr für stationäre Läden, in denen sie sich wohlfühlt. Gleichzeitig hat sie aber auch weniger Scheu, eine Marke offen zu meiden, sobald diese nicht mehr ihren Anforderungen genügt. Die Gruppe ist neugieriger als angenommen: Dadurch, dass sie sich neueste Technik im Gegensatz zu den jüngeren Generationen problemlos leisten kann, ist sie innovationsfreudig, fordert bei Neuerungen aber eine enge Beratung und Begleitung. Kurzum: Die Gruppe ist zu reif und zu erfahren, um unüberlegt zu konsumieren, sie sieht sich als treu, aber nicht treudoof und will Produkte dynamisch und nicht seniorengerecht erleben.
Der Begriff Ruhestand hat für sie ausgedient, denn ein Rückzug aus dem öffentlichen Leben findet nicht mehr statt. Gerade ältere Menschen wollen sich oft als jünger erleben und sind durch eine positive Kategorisierung viel leichter zu Kauf von Produkten und Dienstleistungen zu bewegen. Angesichts der Demografieprognosen bleibt es nicht aus, dass Unternehmen ihr Zielgruppen-Marketing anders gewichten und ihre Budgets neu verteilen müssen. Laut Statistischem Bundesamt wird diese Gruppe in zwanzig Jahren 50 Prozent der Bevölkerung ausmachen, das sind doppelt so viele, wie es unter-30-jährige geben wird. In Westeuropa werden die über 60-Jährigen bis zum Jahr 2030 für 59 Prozent des Konsumwachstums in den Städten verantwortlich sein, so das Beratungsunternehmen McKinsey. Zahlen, die jeden Werbetreibenden glücklichen machen sollten.
Folgen des Gesellschaftswandels
Das Branding einer Alterskategorie ist immer mit Risiken verbunden. Die Gruppe der neuen Alten zu erreichen, ist aber besonders herausfordernd. Im Gegensatz zu ihren Vorgängern ist die Gruppe deutlich heterogener und stark von gesellschaftlichen und beruflichen Veränderungen geprägt. Das führt dazu, dass die Generation, die derzeit ins Rentenalter kommt, selbst ein Identitätsproblem hat und auf der Suche nach einem Namen für sich ist. Sie scheidet wohl als letzte Altersgruppe mit im Schnitt Anfang 60 aus dem Berufsleben aus, die Menschen sind meist fit und haben noch mindestens 20 Lebensjahre vor sich. Zudem ist es wohl die letzte Generation, die verhältnismäßig gut verdient hat und mit einer adäquaten Rente abgesichert ist. Zugleich ist es die erste Generation, die den zeitlichen Ausstieg aus dem Arbeitsleben individuell gestaltet; ein Teil von ihr möchte bis ins hohe Alter arbeiten. Kaum eine Altersgruppe hat so große Angst, etwas im Leben bereits verpasst zu haben oder in den kommenden Jahren zu verpassen. Diese individuelle Lebensführung, die die Werbewelt sonst eher jüngeren Menschen zuschreibt, macht die Namensfindung so schwer. Der Begriff „50plus“ trifft nicht auf alle zu, „Woopies“ widerspricht dem subjektiven Sicherheitsgefühl, „Senioren“ und „Silber Generation“ klingt zu alt, die „coolen Alten“ zu anbiedernd. „Best Ager“ trifft es vielleicht noch am besten, so richtig mag die neue Generation dieser Bezeichnung aber auch nicht mehr genügen und wird vor allem von der restlichen Gesellschaft so nicht gesehen.
Der demografische Wandel macht den Umgang mit der Generation zusätzlich schwierig. Langlebigkeit und Gesundheit bis ins Alter zählen zu den größten Errungenschaften der Menschheit, sind aber gesellschaftlich höchst herausfordernd. Zwar ist die Gruppe mengenmäßig groß, mit ihr werden aber auch die für kommende Generationen negativen Folgen des demografischen Wandels verbunden, folglich hat die Generation in der Gesamtbevölkerung ein wachsendes Imageproblem. Die Herausforderung liegt in der zunehmenden Abhängigkeit der Alten von Jungen. Wenn die Welt grau wird, werden Wachstum, Steuereinnahmen und die Zahl der Arbeitskräfte sinken, während die Ausgaben für Renten und Gesundheitsversorgung steigen. Allzu positiv darf das Bild der Generation also nicht gezeichnet werden, wollen Marketer andere Generationen nicht verprellen.
Auf die Ansprache kommt es an
Generell gilt es in der Ansprache der neuen Alten differenzierte Interessen und Hobbys zu berücksichtigen. Produkte, Service und Werbekampagnen müssen zwar altersgerecht gestaltet sein, es ist aber ein Tabu, über Seniorität oder Alter zu sprechen. Bereits jetzt trauen sich nur wenige Firmen, speziell für diese Zielgruppe Produkte zu vermarkten. Eine davon ist bekanntlich der Kosmetikhersteller Dove, der in einer großen Kampagne für die Produktreihe „pro age“ wirbt. In der Werbung sollen die Produkte den Frauen vermitteln, dass Älterwerden nichts Negatives ist. Der Ansatz passt zum britischen Unternehmen, will es doch in allen Altersgruppen authentisch erscheinen. Werbung für Produkte speziell für ältere Menschen findet fast ausschließlich in Magazinen statt, die ohnehin ausschließlich von Senioren, also von Menschen, die sich älter fühlen, gelesen werden. In den USA sieht das ganz anders aus. Dort wird offen für Seniorenprodukte geworben, es gibt sogar spezielle Rentnerstädte, in denen nur wohnen darf, wer älter als 55 Jahre ist. In Deutschland wäre dies kaum denkbar.
Der Kosmetikhersteller Dove betont in seinen großen Kampagnen für seine Produktreihe „pro age“ auch auf dem deutschen Markt bewusst das Alter und die damit verbundenen Veränderungen. Damit ist das britische Unternehmen aber die Ausnahme.
Eine neue Lebensphase zu deklarieren trägt dazu bei, die Wahrnehmung der Menschen zu verändern. In den 1940er Jahren begann die Werbeindustrie damit, Altersgruppen unter griffigen Namen zusammenzufassen. Der Begriff Teenager entstand und damit das goldene Zeitalter für Trendprodukte, die stärkere Vermarktung der Musikindustrie und spezifische Kinder- und Jungendliteratur. Letztlich ebnete die Werbewelt, weil sie die Aufmerksamkeit auf diese Gruppe lenkte, damit auch den Weg für Kinderschutzgesetze und weitere politische wie gesellschaftliche Veränderungen für Kinder und Jugendliche. Eine ähnliche Entwicklung brauchen und fordern die neuen Alten. Marketer sollten sich dabei im eigenen Interesse in der Verantwortung sehen.
Author: Shane Fisher
Last Updated: 1702427162
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